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von Barbara Kopp / 14. 10. 2013: Bildergeschichten II.
Ein lichter Tag, um Mittsommer 1940, im Westen von Schweden, im Bergbaugebiet Guldsmedshyttan. Sie hätten unter anderen Umständen im Leben nie zusammengefunden: In der Mitte sitzend, die deutschen Emigranten Werner und Irene Taesler, links stehend Lor Zietzschmann, wie sich damals Laure Wyss nannte, und rechts eine Schwedin in ländlicher Kleidung, die Hausbesitzerin vielleicht, bei der sich die Emigranten eingemietet hatten. Der Abwesende auf dem Bild ist Ernst Zietzschmann, mutmasslich der Fotograf.

Ernst Zietzschmann besass eine Leica, und er und Lor besuchten das befreundete Paar. Die beiden Frauen waren Ende zwanzig, die Männer Anfang dreissig. Das eine Paar ohne gültige Papiere, in ständiger Angst, als kommunistische oder deutsche Spione denunziert und aus Schweden ausgewiesen zu werden. Das andere Paar privilegiert, mit regulärer Aufenthaltserlaubnis und Arbeitsbewilligung und mit Schweizer Pass. Die beiden Männer verband der Beruf, beide Architekten und Verfechter des modernen sachlichen Baustils. Werner Taesler hatte an der Kunst-, Design- und Architekturschule Bauhaus in Dessau studiert, bevor er als junger Kommunist in die Sowjetunion gezogen war und auf den grossen Baustellen in Sibirien gearbeitet hatte. Die Frauen wiederum verband die Liebe zur Sprache und zur Literatur. Irene Taesler, eine deutschstämmige Russin aus Odessa, war Dolmetscherin und hatte auf den Baustellen vermittelt. Lor Zietzschmann brachte sich das Übersetzen selbst bei und übertrug kirchliche Widerstandsschriften aus dem Schwedischen, Norwegischen und Dänischen ins Deutsche.

In Stockholm hatten sie sich kennengelernt. Ernst Zietzschmann spielte hervorragend Klavier und lud zu Musikabenden ein. Werner Taesler leitete einen Madrigalchor. Als der Krieg begann, brachte Irene einen Sohn zur Welt. Bald darauf verliess sie mit dem Neugeborenen die Stadt, in der Hoffnung, ohne Einkommen auf dem Land leichter überleben zu können. Werner Taesler schrieb in seinen Lebenserinnerungen: «Unser erster Winter auf Limnäs glich in klimatischer Hinsicht dem letzten Winter in Sibirien. Dort mit -45°C während 3 Monaten, hier mit -30°C während vier Monaten und begehbarem Eis auf dem grossen See Rosvalen noch am 15. April 1940. Trotz Protesten der Westmächte lieferte Schweden Eisenerze nach Deutschland gerade aus Bergslagens Gruben. Wir sahen Erzzüge Tag und Nacht am gegenüberliegenden Ufer gen Süden fahren. Zudem war es einer der Schnee reichsten Winter in Schweden. Jeden Morgen musste ich erst den Weg durch 80 cm tiefen Schnee zum Brunnen schaufeln, breit genug, um zwei Eimer Wasser in unseren Haushalt tragen zu können. Gewöhnlich war der Schneekanal am nächsten Tag wieder verweht. […] Zum Einkauf für den Haushalt musste der Konsum 3 km entfernt mindestens zwei Mal wöchentlich besucht werden, im Sommer mit dem Fahrrad, bei Schnee mit dem Stuhlschlitten. Den Landbriefträger abzupassen, nahm oft 1 bis 2 Stunden [in Anspruch], weil man nie wusste, wann er kommt, und meine Post nur bis zu einem der Dorfbewohner (1 km von uns entfernt) abgegeben wurde. Dort war auch das einzige zugängliche Telephon. Abends holte ich Milch in einem anderen Haus auf Skiern und hörte bei dieser Gelegenheit die Tagesereignisse im Radio.»

Vom Sommerbesuch bei den Freunden hielt Ernst Zietzschmann mit seiner Kamera einen lichten Tag fest, unbeschwerte Stunden unter Birken, Irene mit einem Strauss Petersilie. Werner Taesler hatte am Bauhaus bei Wassily Kandinsky Malunterricht besucht und versuchte die Familie mit dem Verkauf von Aquarellen durchzubringen.

«Bald begannen Gerüchte, dass ich wohl deutscher Spion sein könnte. Als ich zum ersten Mal im Frühling mit meiner Staffelei auf dem Acker stand, hatte ich das Aquarell noch nicht beendet, da wusste der Polizeikommissar (per Telephon), dass Taesler draussen auf dem Feld stünde und ‚fotographierte‘. Ich musste den Polizeikommissar besuchen; er empfing mich mit der Frage: ‚Sie sind doch wohl kein Spion?‘

Manchmal hatte er Glück und verkaufte ein Bild. Jemand empfahl ihm, mit seiner Aquarellmappe beim grossen Bauunternehmer der nahen Stadt Örebro vorzusprechen. Ein Bild verkaufte Werner Taesler nicht, aber er erhielt den Auftrag, ein Kino zu bauen.

Bild: Privatarchiv Roger Taesler

Zitate: Die Umkehr meines Lebens. Handschriftliche Lebenserinnerungen von Werner Taesler, Privatarchiv Roger Taesler.