Blog 9
von Nikolaus Wyss / 15.02.13: Am Tag der Annahme des Eidgenössischen Frauenstimm- und Wahlrechts.

Wie nebenher und erst gegen Schluss ihres Briefes erwähnt meine Mutter die Annahme des Eidg. Frauenstimm- und Wahlrechts vom 7. Februar 1971, eines doch epochalen Ereignisses, für welches sie als Journalistin und Aktivistin jahrelang gekämpft hat. Allerdings konnte sie im Kanton Zürich mit dieser staatsbürgerlichen Einrichtung schon ein wenig üben, denn auf kantonaler Ebene trat das Frauenstimmrecht ja schon ein paar Monate früher in Kraft.

Zu Anfang des Briefes macht sie Rückmeldungen auf meine Berichte aus Bogota, Kolumbien: ich wohnte damals bei der Schriftsteller-Familie Sanchez, die allerdings Pleite ging und das Haus verlassen musste und damit ich mit ihnen. – Was meine Mutter sehr beschäftigte waren meine Erwägungen, meinen Job in der Buchhandlung Buchholz schon nach wenigen Monaten an den Nagel zu hängen und dafür zu reisen, nach Kuba zum Beispiel…

Bei der Kuh Elise schliesslich handelt es sich um eine Illustration des Eisenplastikers Bernhard Luginbühl, welche er auf Bestellung für einen Zeitungsbeitrag im Tages-Anzeiger Magazin gezeichnet hat. Luginbühl schenkte sie darauf meiner Mutter. Das Bild befindet sich noch heute im selben Wechselrahmen…

«Montag früh, 8. Februar 71
Lieber Chlöisi
Vor mir habe ich Dein heiteres Aerogramm vom 29. (mit Bericht von Weg-Beobachtungen und Mitteilung Deiner literarischen Bemühungen, alles Dinge, die mich freuen zu lesen) und Deine Karte mit der Pleite-Mitteilung der Sanchez-Familie: auch eine Literatur-Erfahrung würde ich sagen, wenn auch eine bestürzend schmerzliche, denn Deine Bleibe war Dir doch sehr lieb. Und so ein passendes Zimmer gibt doch Halt und Zuversicht für alle weiteren Départs. Nun, Du nimmst es als Schwierigkeit, die zu meistern ist, und sie wird auch, dh. Du wirst auch. Viel Glück fürs weitere. Jetzt wo ich etwas mehr weiss über den Buchladen verstehe ich, dass Deine südamerikanische Erfahrungslinie eher von dort wegstrebt. Was richtig ist für einige Monate, ist manchmal für ein Jahr nicht richtig. Und eine Karriere als Buchhändler hast du offensichtlich nicht im Sinn, auch keinen Jahresausweis für später. Lass dir immerhin ein Zeugnis ausstellen, wenn Herr B. solches tut. Nur nebenbei: H. machte mich darauf aufmerksam, dass man für Cuba seinen Pass ‚verlieren’ muss, weil mit Cuba-Visum drin kein anderes südamerikanisches Land einem aufnimmt. Das weisst du sicher, auch, , dass Schweizer Konsulate da ausnahmsweise für ‚Verlierer’ Verständnis zeigen […]

Von hier sehr wenig und so gar nichts Neues. F. wohnt für eine Woche hier. U. wurde 50 und ich improvisierte innert einer Stunde aus dem Kühlschrank resp. aus der Kühltruhe ein Essen für die Familie, weil die Familie wenig Phantasie zeigte, das Geburtstagskind zu überraschen. ‚Elise’ aus Bern, vorläufig in einem Wechselrahmen, ist das grösste Ereignis, sie ist mächtig und sieht unglaublich gut aus. Muss einiges ringsum wegtun, so kolossal ist Elise. – C. tauchte wieder einmal auf, sie hat Krach mit dem Vater und macht sich finanziell selbständig, höchste Zeit, scheint mir. Wir gingen dann zusammen ins Stimmlokal, es war Hochstimmung, die ganze Trittligasse stimmte paarweise, kantonal weisst Du. Und am Sonntag erfuhren wir, dass wir es nun haben, das eidg. Stimm- und Wahlrecht. Frau K., Stimmenzählerin, telefonierte, Kreis 1 habe übermächtig angenommen, wir müssten also im Kreis 1 wohnen bleiben, der sei schon recht. Man ist natürlich schon froh, dass dieses Traktandum nun erledigt ist. […] Alles Gute. Bevor Du in die Slums steigst, wird man ja von dir hören. Frau Buchholz wird Dich sicher vermissen, hoffentlich versteht sie dich.
Hej, Hoj, viele Grüsse
Deine Mutter»