Von Klara Obermüller / 20.6.2013:
Es muss 1974 gewesen sein, also kurz vor ihrer Pensionierung, dass ich Laure Wyss zum ersten Mal begegnete: auf der Redaktion des „Tages-Anzeiger-Magazins“, dort, wo sie als Journalistin ihre besten Jahre gehabt hatte. Vom Alter her hätte sie meine Mutter sein können. Vom Beruf her gesehen war sie mein Vorbild. […]
Es hatte mich Mut gekostet, mit ihr Kontakt aufzunehmen und ihr diesen Vorschlag zu machen. Laure Wyss war eine Autorität. Und als ich ihr dann gegenüber stand, sie hinter ihrem grossen Schreibtisch und ich davor, da wirkte sie auf mich einfach nur imponierend und, ja, auch ein wenig einschüchternd. Dass diese grossgewachsene Frau mit der markanten Hornbrille und der dunklen Stimme auch ganz anders sein konnte, verunsichert, voller Selbstzweifel und dunklen Gedanken, das erfuhr ich erst Jahre später. […]
Das ist das Bemerkenswerte an den journalistischen wie den literarischen Arbeiten von Laure Wyss, dass sie es immer wieder schafft, bei ihren Leserinnen – wie das genau bei den Lesern ist, weiss ich nicht – diesen Wiedererkennungseffekt zu erzeugen. Sie hat jeweils selbst mit einem gewissen Erstaunen erzählt, wie nach Lesungen die Frauen zu ihr kamen und sagten: „Genau so ist es. Genau so ergeht es mir auch.“ Und woher kommt das? Ich denke, es liegt daran, dass Laure Wyss im Grunde stets über sich selbst geschrieben und auch in ihrer journalistischen Arbeit die Themen so gesetzt hat, dass sie sie selbst betrafen. Indem sie von den eigenen Erfahrungen ausging, traf sie auf die Erfahrungen der andern – und umgekehrt.
Dass Laure Wyss lange brauchte, um zu dieser persönlichen Art des Schreibens vorzustossen, hatte zum einen sicher mit ihrem Wesen und dem Bedürfnis nach Schutz ihres nicht ganz unproblematischen Privatlebens zu tun, zum andern aber auch mit den gesellschaftspolitischen Umständen, die sie prägten. In den siebziger Jahren, als die Journalistin Laure Wyss ihre grosse Zeit hatte, waren politisches Engagement und dokumentarisches Schreiben angesagt. Das kam Laure Wyss bei ihrer redaktionellen Arbeit zuerst für den „Tages-Anzeiger“, später fürs „Magazin“, aber auch bei der Abfassung ihrer 1976 erschienen „Frauen-Protokollen“ sehr entgegen. Schon in den sechziger Jahren, als sie die wöchentliche Frauenbeilage für verschieden Tageszeitungen betreute, und später, als sie beim Schweizer Fernsehen das „Magazin für die Frau“ präsentierte, galt ihr gesellschaftliche Relevanz als oberstes Prinzip. Laure Wyss wollte etwas bewirken. Dass ihr Einsatz für andere stets von eigener Erfahrung getragen war, ohne dass sie dies ausdrücklich deklariert hätte, machte die besondere Qualität ihrer journalistischen Arbeit aus.
Diesem Prinzip ist Laure Wyss auch treu geblieben, als gesellschaftspolitisches Engagement und anwaltschaftlicher Journalismus langsam aus der Mode kamen. «Wann brach die Ohnmacht aus und wurde einsehbar? Für die wenigen, die verpassten, sich anzupassen?», heisst es in einem von Marthas Albumblättern aus dem Band «Das rote Haus». Der Text trägt den Titel «Der Korridor», und dass dieser sich im Redaktionsgebäude des «Tages-Anzeigers» befand, war jedermann klar, der sich in der Zürcher Medienszene auch nur ein bisschen auskannte.
Ja, Laure Wyss war eine Unangepasste, da hat Barbara Kopp völlig recht, wenn sie ihrer Biographie diesen Titel gegeben hat. Sie war es in ihrer Lebensführung, und sie war es als Berufsfrau. Sie hat sich als Frau das Recht auf Selbstbestimmung herausgenommen, als die meisten ihrer Geschlechtsgenossischen sich noch mit der Rolle als Mutter und Hausfrau zufrieden gaben. Sie hat ihren Beruf in der Überzeugung ausgeübt, dass es zwischen Privatem und Politischem keine klare Trennlinie gebe, lange bevor sich die 68er diese Forderung auf ihre Fahne geschrieben hatten. Und sie hat vorgelebt, was Altersradikalität bedeutet, noch ehe die öffentliche Diskussion um die «neuen Alten» auch nur lanciert worden war. Laure Wyss war eben doch eine Pionierin, auch wenn sie das Wort nicht gerne hörte. Dass sie es nicht nur theoretisch war, sondern mit dem ganzen Gewicht ihres gelebten Lebens, macht ihre besondere Leistung aus. Dafür danken wir ihr. Und dafür wollen wir sie heute ehren.
Laudati0 von Klara Obermüller, gehalten im Rahmen der Jubiläumsveranstaltung im Centre PasquArt 20. Juni 2013
als pdf zum Downloaden: Laudatio Obermüller